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Dienstende oder vom Mut, dem Beamtenstatus Goodbye zu sagen

Ein weiteres Schuljahr ist vorbei. Gestern war der letzte Schultag. Doch etwas ist anders als die letzten 17 Jahre. Gestern war mein letzter Schultag. Gestern gab ich meine Schlüssel und mein I-Pad ab und verabschiedete mich aus dem Schuldienst und von meinen Kolleginnen und Kollegen. Ein Wort viel während zahlreicher Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen gehäuft: Mut. Selbst mein Schulleiter verabschiedete sich mit dem Satz: "Sie sind die Mutigste von allen, die heute das Kollegium verlassen!"

Was erfordert Mut? Einen riesigen Berg zu besteigen? Actionreich die Welt zu retten? Seinen Job zu wechseln? Denn letzteres ist der Grund, weshalb ich den Schuldienst hinschmeiße. Ich möchte Reittherapeutin sein. Ich möchte mit Tieren und Menschen arbeiten und bin fasziniert davon, welchen großen Einfluss Tiere auf das Wohlbefinden von Menschen haben können.

Doch das ist nicht der Grund, weshalb mir die Welt riesigen Mut attestiert. Es ist die Tatsache, dass ich dafür den Beamtenstatus aufgebe. Was das heißt, durfte ich in den letzten Monaten ausgiebig recherchieren und reflektieren. Nicht mehr Beamtin zu sein, ist eigentlich nicht vorgesehen. Informationen hierüber zu bekommen ist anstrengend. Was passiert mit der schönen Pension? Und wie bin ich dann versichert? Zahlreiche Privilegien einer Beamtin werden einem erst richtig klar, wenn man darüber nachdenkt, sich zu verändern. So habe ich monatelang abgewägt und meine Gedanken kreisen gelassen.

Wenn ich nicht mehr Lehrerin bin, habe ich keine Ferien mehr. Fast 6 Wochen Sommerferien, Oster-, Herbst- und Weihnachtsferien, futsch. Was ist mit vormittags Recht und nachmittags frei? Na gut, die Realität als Berufsschullehrerin sagt was anderes, aber fragt man nicht-Lehrer, so ist das auch ein eindeutiger Vorteil, der entfällt, sollte man sich für einen "richtigen" Beruf entscheiden. Auch die 100%ige Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, auch nach sechs Wochen, entfällt. Ich muss plötzlich in die Rentenkasse einzahlen. Und mich gegen Arbeitslosigkeit versichern. Plötzlich bin ich nicht mehr unkündbar. Und vor allem: Was ist mit der schönen Pension?

All diese Fragen musste ich nicht nur mir, sondern auch jedem beantworten, dem ich von meinem Vorhaben erzählt habe. Die erste Reaktion war oft: Du bist verrückt! Du hast den Verstand verloren! Sowas macht man doch nicht!

Doch. Sowas macht man. Und es erfordert Mut. Nicht, weil man ins Bodenlose fällt oder sofort tot umfällt, wenn man den Beamtenstatus aufgibt. Nicht weil das Leben danach nur noch mühsam und schwer ist. Sondern weil es viel Kraft und Zuversicht bedarf, gegen das allgemeingültige Mantra anzukämpfen: Man kündigt kein Beamtenverhältnis. Wobei, streng genommen kündigt man auch nicht, sondern man bittet um die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis.

Ich glaube, ich war schon öfters in meinem Leben mutig. Als ich mich zum ersten Mal bei einem Poetry-Slam vor 200 Zuschauern auf die Bühne gestellt habe und nicht wusste, wie man überhaupt in so ein Mikrofon spricht. Oder als ich drei Monate mit meinem Hund und einem sehr alten Auto durch Frankreich und Spanien gefahren bin. Oder bei dem Schreiben meiner Bücher. An einigen Punkten im Leben weiß man, dass man jetzt mutig sein will. Ich bin sehr gespannt über mein neues Leben jenseits des Beamtentums. Etwas Altes aufgeben bedeutet auch etwas Neues gewinnen. Alles hat seinen Preis. Ich bin zuversichtlich, dass dieser Preis eine gute Investition in meine Zukunft war!

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Raphaela Wehl (Donnerstag, 14 Juli 2022 15:17)

    Wiebke, ich gratuliere Dir und wünsche Dir ganz viel Erfolg! Ich versuche mich gerade Teilselbständig zu machen und das macht schon einiges mir mir Daher ziehe ich meinen Hut vor Dir und bin sicher: Herzensentscheidungen sind die richtigen! Liebe Grüße

  • #2

    Katharina Wicher (Donnerstag, 14 Juli 2022 20:31)

    Liebe Wiebke,
    wir haben uns vor (gefühlt) sehr langer Zeit kennen gelernt und auch nur kurz unseren gemeinsamen Dienst versehen, bevor es uns in unterschiedliche Richtungen verschlug. Zu der Erkenntnis zu gelangen, dass die getroffene Entscheidung derzeit die Richtige ist, egal ob man später einmal eine andere Entscheidung trifft, ist ein gutes Gefühl. Es wird Zeiten des Haderns und des Zauderns geben aber auch Zeiten des Jubels und des guten Gefühls, die Entscheidung steht und macht damit den Weg frei für etwas Neues und Wunderbares. Ich wünsche Dir von Herzen viel Erfolg und alles erdenklich Gute auf dem Weg.